"Schnell - heute sind wir dran"

Klaus Fries hat den Angriff vom 16. Dezember als Kind erlebt - und nie vergessen. (WR-Bild: RSH)

Siegen. Traute Fries, Siegener SPD-Stadtverordnete, war am 16. Dezember noch nicht auf der Welt: "Meine Mutter war damals mit mir schwanger." Sie befragte aber ihren Bruder Klaus Fries, damals zehn Jahre alt. Und sie schrieb seine Erinnerungen auf:

 

Es war ein ganz normaler Samstag auf der Sieghütte. Vater Wilhelm Fries und Sohn Klaus zersägten alte Balken und kehrten anschließend den Hof. Die Schreinerei eines Onkels war geräumt worden, Maschinen und Werkzeuge lagerten in der Malerwerkstatt Küthe. In der Schreinerei war das Franzosenlager, es gab eine Baracke für Russen und Polen. Die Zwangsarbeiter waren bei den Weber-Werken, einem kriegswichtigen Betrieb, eingesetzt.

Beim Hoffegen gab es Vor- , dann Haupt- und schließlich akuten Alarm. Wilhelm Fries hatte das Gefühl, dass der Angriff heute die Sieghütte treffen werde, deswegen drängte er mit den Worten: "Ab, schnell in den Bunker - heute sind wir dran." Die ganze Familie war zeitig in der Zelle 4. Klempnermeister Werner Hütz (Vorname nicht gesichert) war ebenfalls im Bunker - die Familie war zu Hause geblieben.

"Der Bunker vibrierte"

 

Klaus hatte noch keinen derartigen Angriff erlebt, das Licht ging aus, die Notbeleuchtung an, eine Bombe ging direkt nebenan in der Schulstraße nieder. Der Bunker vibrierte, der Angriff hatte wenige Minuten gedauert.

Als er vorüber war, gingen Werner Hütz sowie Wilhelm und Klaus Fries raus. Vor dem Bunker lag der SA-Mann Wilhelm Lippe, dem beide Beine weggeschossen worden waren. Er schrie: "Fries hilf mir." Ihm war nicht mehr zu helfen, er verblutete. Im Umkreis von etwa 100 Metern gab es 50 Tote. Ein Fachwerkhaus brannte lichterloh, das Gontermannsche Haus und das Haus einer Tante hinter dem Bunker standen noch.

Ein Nachbar verlor die ganze Familie

Die zwei Männer und der zehnjährige Junge holten Sachen raus und trugen sie an die Siegwiese (jetzt unter der Hüttentalstraße). Auch die anderen Leute schleppten ihre Sachen dorthin. Klaus fungierte als Aufpasser und Wächter, damit nichts entwendet wurde.

Blindgänger gingen in die Luft, überall brannte es. Werner Hütz erhielt die Nachricht, dass seine ganze Familie, drei Kinder, Frau und Mutter, ausgelöscht war. Er weinte. Auf dem Gelände der Weberwerke war ein Schuppen voll mit Gas- und Sauerstoffflaschen. Wilhelm Fries hat unter Lebensgefahr das Holz weggeräumt. "Wenn das Feuer gefangen hätte, wären die Flaschen explodiert", ist sich sein Sohn sicher.

Abends ging die Familie zur Oma in den Stollen in Boschgotthardtshütten, am nächsten Tag in ihr Haus. Dreck war von den Wänden und den Decken gefallen. Klaus´ Schwester Rosemarie trat im Wohnraum unbeabsichtigt gegen eine neben dem Ofen liegende Stabbrandbombe. Ihr Vater rief: "Um Gottes willen!" Mit schweißbedeckter Stirn hob er sie vorsichtig auf, trug sie raus - sie explodierte dann auch kurz danach.

Quelle:     Westfälische Rundschau    15.12.2004   

MedienZentrum Siegen-Wittgenstein      Karl Heupel