"Wir steckten im Schutt und mussten uns erst einmal befreien"
 

Siegen. (bw) Es war ein Samstag wie jeder andere. Die beiden Bürbacher Jungs hatten gerade gemeinsam mit ihrem Vater im Bereich der heutigen Albertus-Magnus-Straße Kartoffelschalen eingesammelt. Der Ältere sollte einmal Bürgermeister von Siegen werden: Karl Wilhelm Kirchhöfer, damals 12 Jahre alt.

 

Die Schalen waren für die Kuh und die beiden Schweine gedacht, die zuhause im Stall standen. Sie würden später von einem Fuhrwerk abgeholt und nach Bürbach gebracht werden. Die Jungen machten sich unbesorgt auf den Heimweg nach Bürbach - der Vater war noch woanders beschäftigt. "Wir hörten an der Ecke Michaelstraße/Keilstraße aus einem Volksempfänger, dass Bomber im Anflug sind", erinnert sich Karl Wilhelm Kirchhöfer.

 

"Wir steckten im Schutt"

 

"Jetzt aber dalli nach Hause", rief der spätere Siegener Bürgermeister seinem achtjährigen Bruder zu. In diesem Moment tauchten die Flieger schon am Himmel über Siegen auf. "Es sah aus, als ob alle Bomben genau auf uns zuflogen - obwohl sie irgendwo anders einschlugen." Die Kinder standen erst wie gebannt da und flüchteten in ein Haus. "Wir standen im Flur. Es schepperte fürchterlich. Ich habe gedacht - wenn alles einstürzt, findet uns hier keiner." Sie waren gerade aus der Tür raus, als das Haus getroffen wurde. "Wir steckten im Schutt und mussten uns erst mal befreien", berichtet Karl Wilhelm Kirchhöfer: "Draußen brannte alles."

 

Die Jungen schlichen über den Bürgersteig und schlüpften schließlich durch eine Hecke in einen "Splitterschutzgraben": "Das war ein längerer mit Erde abgedeckter Graben mit Luftschutztür." Die Leute saßen dicht gedrängt nebeneinander: "Wir haben uns in eine Ecke gedrückt."

Als der Angriff vorbei war, habe man ihnen gesagt, dass sie nun gehen könnten. Wie lange sie im Graben waren, wussten sie nicht: "Man hatte das Gefühl der Zeit verloren. Ein paar Minuten Angriff kamen uns vor wie eine Ewigkeit."

 

Durch die Gärten liefen die Kinder in Richtung Bürbacher Weg/Giersbergstraße weiter. Ab und zu drehten sie sich um: "Die Altstadt brannte lichterloh." Irgendwo auf dem Giersberg tauchte plötzlich ein See auf, der vorher nicht da war: "Eine Wasserleitung war getroffen worden." Die Kinder sahen auch Menschen, die in ihrer Verzweiflung wahllos Hausrat aus dem Fenster warfen: "Sogar Porzellan. Das zerbrach natürlich sofort."

  

Der Vater rettete sich in Privatbunker

Wie es dem Vater ergangen war, wussten die Kirchhöfer-Kinder nicht: "Vor Bürbach kam er uns entgegen." Er hatte sich in den Privatbunker der Villa Waldrich retten können. Dabei wurde seine Hand in die schwere Bunkertür eingeklemmt.

Zuhause hatte die Mutter voller Angst auf die beiden Jungen gewartet. Auch das alte Fachwerkhaus der Familie war beim Angriff beschädigt worden - eine Wand war kaputt. "Als die Mutter uns sah, freute sie sich so sehr, dass wir sofort unser Weihnachtsgeschenk bekamen." Bittere Ironie des Schicksals: Es war eine schwere Kanone, die der Vater aus Holz geschnitzt hatte.

Karl Wilhelm Kirchhöfer hatte noch jahrelang Albträume: "Das Feuer habe ich öfter gesehen."

 

Quelle: Westfälische Rundschau     13.12.2004   

 

MedienZentrum Siegen-Wittgenstein      Karl Heupel